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2-tägige Wanderung im Fextal, Engadin


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2 Antworten in diesem Thema

#1 gagligna

gagligna
  • 235 Beiträge
  • WohnortOberhalbstein, Graubünden, Schweiz
  • Sport:Fahrradfahren, Wandern

Geschrieben 20. September 2014 - 20:11

Ich hatte wieder einmal das Bedürfnis allein zu sein. Ganz allein und nicht nur eine Stunde. Also Zeit für eine Übernachtung draussen. Dafür hatte ich mir schon vor längerer Zeit den Lej Alv im Fextal ausgesucht, einfach so, auf der Karte, weil es interessant aussieht.

 

Schlafsack, Liegematte, Kocher, warme Kleidung, Regenschutz. Dann natürlich Handy, Powerbank, Kartenausdruck, Apotheke, Sonnenbrille, Wanderstöcke. Esswaren, Taschenmesser, Trinkflasche und zusätzlich eine kleine PET-Flasche. Nicht zu vergessen die Kamera und Ersatzakkus. Es spielt keine grosse Rolle, ob eine Nacht, oder drei Wochen, der Rucksack wird immer schwer, sobald eine Übernachtung im Freien geplant ist.

 

Mein Ausgangspunkt ist Sils im Engadin. Von dort geht es zuerst recht steil hoch, was mir recht ist, ich mag es, wenn ich schnell an Höhe gewinne. Ab Marmorè wird es dann gemütlicher. Ich bin erst nach dem Mittag gestartet, was heisst, dass die Wanderer mir alle entgegen kommen. Heute sind es eher viele, es ist Sonntag. Aber damit musste ich rechnen. Im Engadin ist man in der Saison nie einsam. Dafür kann ich bequem den Wegweisern zum Lej Sgrischus folgen. Auf der Alp Munt Sura mache ich bei der Hütte eine ausgiebige Rast und trinke vor allem. Ich hatte meine Flaschen nicht gefüllt, weil ich wusste, dass es unterwegs genug Wasser haben würde. Jetzt fülle ich das kleine Fläschchen, das genügt vorläufig. Dann geht es noch einmal steil hoch und ich bin beim Lej Sgrischus.

 

Die letzten Wanderer sind bereits abgezogen, ich habe den See für mich alleine. Bis zum Ende des Sees gibt es noch einen Pfad, dann ist fertig. Ich will aber nicht diesen Weg nehmen, ich will an der Bergseite am See vorbei. Das sollte gehen, sonst kehre ich halt wieder um. An einer Stelle sprudelt es direkt aus dem Berg in den See. Hier fülle ich mein Fläschchen wieder auf, gehe weiter, schaue ein wenig den Fischen zu, die sich zum Teil ganz gemütlich im Wasser treiben lassen, andere springen hin und wieder, vermutlich auf Mückenjagd. Es ist sehr ruhig, ausser dem Plätschern der Quelle höre ich gar nichts.

 

Dann geht es weiter. Blockfelder vom feinsten. Ich konzentriere mich, schnell ist ein Fehltritt gemacht und Handyempfang habe ich hier keinen. Also schalte ich einen Gang zurück. Es ist nicht weit vom Lej Sgrischus zum Lej Nair, aber diese Blockfelder sind ja nie flach, da geht es ständig auf und ab, und ich muss mir den besten Weg selber suchen. Kein Problem, ich habe Zeit, nehme sie mir. Dann kommt zuerst der Lej Nair in Sicht. Er hat offenbar viel weniger Wasser als normal. Ich kenne dieses Phänomen, dass manche Bergseen in solchem Blockgelände manchmal viel Wasser haben, im nächsten Jahr weniger, oder sogar gar keines. Ich möchte gerne wissen, warum das so ist. An den Niederschlägen kann es nicht liegen, sonst müsste der See dieses Jahr mehr als voll sein. Dann gehe ich weiter zum Lej Alv, das sind nur ca. 50 Meter. Der sieht ganz anders aus. Ganz klar, der hat sein Wasser vom Gletscher des Chapütschin. Das Wasser ist heller, etwas milchig sieht es aus. Gletschermilch halt.

 

Ich sehe mich um. Nein, hier will ich nicht schlafen. Ich will Aussicht haben. Also steige ich hoch, sehe immer zu wenig, bis ich auf dem Hügel neben dem See stehe, auf 2668 Metern, etwa 30 Meter höher als der See. Hier habe ich Aussicht ins Tal und auf die gegenüberliegenden Berggipfel. Hier windet es aber auch. Wärmer wäre es weiter unten. Aber die Aussicht ist mir wichtiger. Ich steige noch ein wenig in die andere Richtung ab, immer auf der Suche nach einem ebenen Plätzchen. Das ist gar nicht so einfach hier. Aber wer sucht, der findet. Zuerst deponiere ich meinen Rucksack, dann mache ich mich nochmals auf den Weg zum See, um Wasser zu holen. Fast zwei Liter, das sollte reichen. Dann richte ich mich ein, pumpe meine Matte auf, breite den Schlafsack darauf aus, dann noch den Regenponcho über den Fussteil. Dann ziehe ich mich schon mal warm an. Also die lange wollene Unterziehhose drunter, die Wärmehose für drüber lege ich bereit. Dann über das (Woll)Shirt den dünnen Wollpulli unter der Fleecejacke. Vorläufig genügt das.

 

Zeit zum Essen, Hunger habe ich schon länger. Ich schmeisse den Kocher an. Von richtig Kochen kann natürlich nicht die Rede sein. Suppenpulver in die Tasse, mit kochendem Wasser aufgiessen, rühren, essen. Nudeln mit Gewürzen und Öl in die Tasse, mit kochendem Wasser aufgiessen, rühren, warten, rühren, essen. Noch eine Suppe, ein wenig Brot, einige Nüsse, fertig. Kaffee habe ich leider keinen dabei, also noch etwas heisses Wasser. Den Rest des Wassers koche ich auch, fülle die Flaschen und lege die in den Schlafsack, als Bettflaschen.

 

Dieses Kochen und Essen unterbreche ich immer wieder um zu fotografieren. Es ist ein wenig bewölkt, entsprechend der Sonnenuntergang recht spektakulär! Ich bleibe noch lange draussen sitzen, schaue zu, wie es dunkler wird und ein Stern nach dem andern zwischen den Wolken auftaucht. Zwischendurch höre ich Steine poltern. Die Hänge hier sind steile Geröllhalden.

 

Inzwischen habe ich auch Jacke und Mütze angezogen. Auch meine Wärmehose bewährt sich. Ich habe sie zum erstem Mal dabei und bin sehr froh darum. Irgendwann krieche ich in den Schlafsack, nehme die meisten Kleidungsstücke mit, damit sie nicht kalt werden. Die Kamera versorge ich im Rucksack, Handy und Taschenlampe in einem Schuh. Die Schuhe lege ich hin, damit die am Morgen innen nicht taufeucht sind. Mit der Hose decke ich die Schuhe noch ab. Ich lösche mein Minilämpchen, lege mich auf den Rücken und staune, wie hell es ist. Die Wolken haben sich verzogen und ohne Licht sehe ich die ganze Umgebung. Und natürlich einen gewaltigen Sternenhimmel. Fast will ich nochmals raus zum fotografieren. Aber dann mag ich doch nicht mehr, geniesse es einfach, gemütlich im Schlafsack zu liegen und in den Sternenhimmel schauen zu können. Ich empfinde das als einen grossen Luxus, fühle mich privilegiert.

 

Ich schlafe nicht so gut, mein Nacken schmerzt. Offenbar Verspannungen, von denen ich bisher nichts gespürt habe. Einmal schrecke ich hoch, weil es am Hang ganz gewaltig rumpelt. Später wird es plötzlich sehr hell, der Mond ist aufgegangen. Und dann ist nichts mehr mit Mond, und mit den Sternen schon gar nicht. Ich liege im dicken Nebel, alles ist nass. Jetzt wird sich zeigen, ob mein Schlafsack wirklich wasserdicht ist. Sollte er, wurde aber noch nie auf die Probe gestellt. Ich ziehe bloss die Kapuze noch ein wenig mehr zu und drehe mich auf die andere Seite. Bis mir später in den Sinn kommt, dass meine Hose draussen liegt, ist es zu spät, sie ist schon sehr feucht. Ich stopfe sie in den Rucksack und schlafe weiter. Am Morgen sieht es nicht anders aus. Es ist hell, aber der Nebel motiviert nicht gerade zum Aufstehen. Ich döse immer wieder ein bisschen, schaue kurz raus, verkrieche mich wieder. Und dann bin ich plötzlich über dem Nebel, die gegenüberliegenden Berggipfel sind von der Sonne beschienen. Es sieht toll aus. Noch im Schlafsack mache ich einige Bilder. Es geht schnell, bis ich draussen bin und in den Schuhen stehe, hat sich der Nebel fast komplett verzogen. Fast gleichzeitig höre ich Helikopterlärm. Ich gehe dem mal nach und sehe, dass nicht weit von mir vermutlich eine Wasserfassung gebaut wird.

 

Dann schaue ich zum Hang hinüber. Ich hatte mir daheim überlegt, dass ich noch auf den Piz dal Lej Alv steigen könnte. Wären nicht mal 500 Höhenmeter. Infos zum Aufstieg habe ich im Netz keine gefunden, wird also kaum gemacht. Aber im SAC-Führer finde ich natürlich eine Beschreibung. Müsste von der Schwierigkeit her für mich machbar sein. Wenn ich aber sehe, wie steil das Couloir ist und an die Steine denke, die gestern Abend und in der Nacht runter gedonnert sind, vergeht mir die Lust. Ich beschliesse, dass ich es heute gemütlich nehme, nur noch zurück wandere. Zuerst aber lege ich meine Hose in die Sonne, die inzwischen auch gekommen ist. Dann kann auch gleich der Schlafsack trocknen und der Regenponcho, das ist alles sehr nass. In der Zwischenzeit mache ich mir mein Frühstück. Sehr unkonventionell, nämlich Suppe und Stocki express. Kaffee wäre schön, aber was will ich an diesem herrlichen Morgen noch mehr. Weil noch nicht alles trocken ist und ich jetzt sowieso Zeit habe, spaziere ich noch zu den beiden Seen, umrunde den Lej Alv. Wieder bei meinem Lager trinke ich den Rest Wasser und packe zusammen.

 

Bis zur Alp gehe ich den gleichen Weg, wie ich ihn gestern gekommen bin, wieder zurück. Von dort möglichst direkt ins Tal runter und zum hintersten Bauernhof. Da besuche ich „meine“ Alpakas. Sie sind meine Freunde. Ob sie das auch so sehen, weiss ich nicht. Ich setze mich in einiger Entfernung auf einen Stein und warte. Sie kommen neugierig näher, der Jorge sogar im Galopp. Das habe ich noch nie gesehen, es sieht lustig aus. Er lässt sich sogar herab, von mir einige Rosinen entgegen zu nehmen. Die andern schnuppern lieber aus mehr oder weniger grosser Distanz in meine Richtung. Zuletzt kommt auch noch Conchita mit ihrem Fohlen vorbei um mich neugierig zu beäugen. Dann weckt ein ankommendes Auto beim Hof ihre Neugier und sie ziehen ab.

 

Ich wandere das Tal hinaus, treffe noch den Bauern, der mir das Neuste von seinen Alpakas erzählt. So war es gar nicht sicher, dass das Kleine überlebt. Aber jetzt sei es 10 Tage alt und habe die kritische Phase vermutlich hinter sich. Und ja, ich dürfe schon über den Zaun steigen, müsse nur aufpassen, weil die Zäune elektrisch geladen seien. Das habe ich gemerkt, der eine hat sehr stark gezwickt. Das sei prima, meint er, dann wisse er jetzt, dass es funktioniert.

 

Ach, es war wunderbar und schreit nach Wiederholung. Ich habe auf der Karte schon geschaut, wo es das nächste Mal hingeht. Das werden dann mehrere Tage, wenn es klappt. Hoffentlich noch diesen Herbst.  

 

Die Fotos sind in der Galerie


Bearbeitet von gagligna, 21. September 2014 - 09:31.


#2 outdoorfriend

outdoorfriend
  • 1.165 Beiträge
  • WohnortRhein/Main
  • Sport:Angeln, Bogensport, Kanusport, Survival, Wandern

Geschrieben 21. September 2014 - 09:15

Das ist ein super Bericht - toll. Die Tour auch - und die Bilder dazu - spitze!

 

Vielen Dank. 



#3 Fliegentod

Fliegentod
  • 602 Beiträge
  • WohnortNah am Kaiserstuhl

Geschrieben 22. September 2014 - 18:06

Sehr schöner Bericht






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