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Avesjünger

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#44646 Tourniquet, welcher taugt was?

Geschrieben von Avesjünger am 30. Mai 2011 - 15:22

Zum Gruße!

Die Frage, welcher Tourniquet empfehlenswert ist, hängt von der Region ab, in die man reist. Für Deutschland und die meisten europäischen Länder heißt die Antwort: Der, den du nicht dabei hast. Ich muss dem berufl. Kollegen Floyd Recht geben. Sobald man eine Ausrüstung dabei hat, gibt man das Versprechen, damit umgehen zu können. Wenn dir dabei ein Fehler unterläuft, der durch die richtige Ausbildung hätte verhindert werden können, wirst du ziemliche Probleme bekommen.
In anderen Regionen, oder auch in wirklich abgelegenen europäischen Gebieten, kann man für sich/seine Gruppe sicherlich ein solches Hilfsmittel mitnehmen. Dabei weiß auch jeder, worauf er oder sie sich einlässt.

Fakt ist: Man bindet in Deutschland in der professionellen Notfallmedizin fast nicht mehr ab. Bis auf ein einziges Mal auf der Straße und einmal im Rahmen einer OP geplant habe ich noch nie gesehen, dass man abbindet bzw. eine "Blutleere" anstrebt. State of the art ist das Ausüben von lokal begrenztem Druck auf das Wundgebiet oder das Abdrücken einzelner Gefäße. Aber auch dies muss geübt werden.
Natürlich ist das manchmal nicht mehr möglich. Hat man kein Tourniquet dabei, kann man improvisieren. Stabilen Gürtel eng um die Extremität verknoten, stabilen Stock hinein und drehen. Hat den Vorteil, dass, wenn etwas schief geht, man eben nicht die oben genannte Behauptung nahelegen kann: "Ich habe die Ausrüstung, ich weiß, was ich tue!"

Man muss überlegen, woher die Tourniquets kommen. Aus Anwendungsbereichen, in denen die sog. "golden hour of shock" nicht immer eingehalten werden kann. Dies bezeichnet die "magische" Grenze von einer Stunde nach Eintritt der Verletzung, in der eine optimale Weiterversorgung gewährleistet werden kann. Wenn ich im tiefsten Skandinavien mit einer Axt hantiere und sie mir ins Bein haue, und der Hubschrauber oder die Ambulanse mal wirklich zu lange braucht, bin ich um ein Tourniquet dankbar. Fest steht aber auch, dass bei den meisten Outdooraktivitäten die gängigen Hilfsfristen doch noch irgendwie eingehalten werden können.

Was die Sache mit dem Öffnen durch Ärzte angeht: Beim von Vorrednern genannten "Care under Fire" kann nicht garantiert werden, dass das Tourniquet regelmäßig geöffnet wird. Im zivilen Bereich oder bei OP wird nach einer bestimmten Zeitspanne (alle 10 Min zB) das Tourniquet kurzzeitig geöffnet, um Gewebsnekrosen, also das Absterben von Gewebe, zu vermeiden. Natürlich geht dabei immer etwas Betriebsstoff daneben, aber das ist je nach Umstand zu vernachlässigen.

Also, an jeden, der über medizinische Ausrüstung nachdenkt: Überlegt, wofür ihr es brauchen könnt. Ich habe zB immer eine kleine Taschenbeatmungsmaske dabei, zum eigenen Schutz. Wenn ich rausgehe, auch mal ein Verbandpäckchen. Alles andere kann man improvisieren. Die beste Ausrüstung ist richtiges Wissen!

OT: Mal zum Nachdenken: "Der Krieg ist der Vater aller Dinge" - so grausam und sinnlos der Tod von Menschen in Kriegen scheinen mag, sehr viele medizinische Fortschritte verdanken wir dem Krieg. Ohne den Willen, die "teuren" Soldaten am Leben zu erhalten, hätte es nie Fortschritte auf dem Gebiet der Traumaversorgung gegeben. Über kurz oder lang mögen auch noch weitere Erkenntnisse und Erfindungen Einzug in den zivilen Rettungsdienst finden. Lassen wir uns überraschen.


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